Autor: theLaw

Arbeitszeitverringerung: Auch eine Gewerkschaft muss Arbeitnehmerrechte anerkennen

Durch alle Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zog jetzt die Gewerkschaft der Lokführer (GDL), weil sie dem Wunsch einer GDL-Mitarbeiterin, die Arbeitszeit zu verringern, nicht entsprechen wollte.

Im Streitfall berief sich die Gewerkschaft auf sog. betriebliche Gründe, die dem Wunsch der Arbeitnehmerin entgegenstünden. Diese liegen nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz vor, wenn „die Verringerung der Arbeitszeit die Organisation, den Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt oder unverhältnismäßige Kosten verursacht“.

Die GDL sah ihre Organisationsfreiheit verletzt. Es war hier jedoch nicht ersichtlich, dass die Gewerkschaft durch die angestrebte Arbeitszeitverringerung einer Mitarbeiterin wesentliche Einschränkungen zu erwarten hätte, wie die Gefahr, Mitglieder zu verlieren, Tarifverträge nicht abschließen oder Arbeitskämpfe nicht mehr durchführen zu können, also in ihren Rechten als Koalition eingeschränkt zu werden, oder gewerkschaftliche Rechtsberatung nicht mehr erteilen zu können.

Quelle | BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 29.7.2020

Schadenersatz: Arbeitgeber haftet für geringeres Elterngeld bei verspäteter Lohnzahlung

Zahlt ein Arbeitgeber den Arbeitslohn verspätet aus, haftet er für finanzielle Nachteile, den der Arbeitnehmer dadurch erleidet, z.B. bei der Berechnung von Elterngeld. 

Das musste sich ein Zahnarzt vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf sagen lassen. Er hatte seiner schwangeren Arbeitnehmerin den monatlichen Bruttolohn für die Monate Oktober, November und Dezember 2017, der ihr aufgrund eines allgemeinen mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots zustand, erst im März des Jahres 2018 gezahlt. Dies führte dazu, dass diese drei Monate für die Berechnung des Elterngelds der Arbeitnehmerin mit 0 EUR angesetzt wurden.

Nach dem Gesetz werden Einkünfte nicht für die Berechnung des Elterngelds zugrunde gelegt, die lohnsteuerrechtlich sog. „sonstige Bezüge“ sind. Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch für eine monatliche Lohnzahlung, wenn diese dem Arbeitnehmer später als drei Wochen nach Ablauf des Kalenderjahres zufließt. Weil der zu spät gezahlte Lohn nicht berücksichtigt wurde, betrug das monatliche Elterngeld der Arbeitnehmerin nur 348,80 EUR anstatt monatlich 420,25 EUR.

Die Klage der Arbeitnehmerin gegen den Zahnarzt auf Erstattung der so entstandenen monatlichen Elterngelddifferenz hatte im Wesentlichen Erfolg. Der Zahnarzt schuldet die Differenz als Schadenersatz. Er befand sich mit dem Lohn in Verzug und handelte schuldhaft. Denn die Arbeitnehmerin hatte ihm eine Kopie des Mutterpasses gegeben. Zudem hatte der beauftragte Betriebsarzt das Beschäftigungsverbot bereits im September 2017 festgestellt. Der Umstand, dass der Zahnarzt das zum 6.9.2017 begründete Arbeitsverhältnis angefochten hatte, weil die Klägerin ihn bei Abschluss des Arbeitsvertrags nicht über die Schwangerschaft unterrichtet hatte, entlastete ihn nicht. Diese Anfechtung war unwirksam.

Allerdings hatte auch die Arbeitnehmerin eine Ursache für die Lohnnachzahlung nach Ablauf der dritten Kalenderwoche des Folgejahres gesetzt. Sie hatte sich nämlich am 11.1.2018, d.h. noch vor Ablauf dieser Frist, auf einen Vergleich mit einer Widerrufsfrist bis zum 9.3.2018 eingelassen, nach dem die Zahlung nur gegen Vorlage einer weiteren Bescheinigung erfolgen sollte. Die Richter sahen den deutlich größeren Verschuldensanteil beim Arbeitgeber. Sie verurteilten ihn, der Arbeitnehmerin 70 Prozent des entgangenen Elterngelds zu zahlen. Außerdem muss der Zahnarzt 341,32 EUR an Steuerberatungskosten tragen. Diese musste die Arbeitnehmerin aufwenden, um zu ermitteln, welcher auf den Ersatzanspruch anrechenbare Steuervorteil sich aus der verspäteten Elterngeldzahlung in 2018 ergab.

Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 27.5.2020, 12 Sa 716/1

Grenzen des Direktionsrechts bei Zuweisung einer anderen Tätigkeit

Sein Direktionsrecht erlaubt es dem Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer andere Tätigkeiten
zuzuweisen. Diese müssen allerdings der bisherigen vertragsgemäßen Tätigkeit gleichwertig sein.

Auf diesen Grundsatz wies jetzt das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz hin. Die Richter machten deutlich, dass sich die Gleichwertigkeit grundsätzlich nach der auf den Betrieb bezogenen Verkehrsauffassung und dem sich daraus ergebenden Sozialbild bestimmt. Insbesondere die folgenden sind Kriterien, um die Gleichwertigkeit zu ermitteln:

  • unmittelbarer Tätigkeitsinhalt,
  • Zahl der unterstellten Mitarbeiter,
  • Umfang der Entscheidungsbefugnisse über den Einsatz von Sachmitteln oder Personal und
  • Einordnung der Stelle in der Betriebshierarchie.

Das Direktionsrecht des Arbeitgebers kann arbeitsvertraglich beschränkt werden. Dies muss
jedoch eindeutig erklärt werden. Allein das Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei der Zuweisung von Arbeitsaufgaben stellt nicht stets schon eine Vertragsänderung dar.

Quelle | LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.5.2020, 8 SaGa 1/20

Einstellungsverfahren: Arbeitgeber darf nicht allgemein nach Vorstrafen und Ermittlungsverfahren fragen!

Im Einstellungsverfahren besteht kein allgemeines Fragerecht des Arbeitgebers nach Vorstrafen und Ermittlungsverfahren jedweder Art. Er darf bei einem Arbeitnehmer vielmehr nur Informationen zu solchen Vorstrafen und Ermittlungsverfahren einholen, die für den zu besetzenden Arbeitsplatz relevant sein können. 

Diese Klarstellung traf das Arbeitsgericht Bonn im Fall eines Auszubildenden zur Fachkraft für Lagerlogistik. Dieser hatte im Rahmen seines Einstellungsverfahrens ein „Personalblatt“ ausgefüllt. Darin hatte er bei den Angaben zu „Gerichtliche Verurteilungen / schwebende Verfahren“ die Antwortmöglichkeit „Nein“ ausgewählt. Tatsächlich wusste er aber, dass gegen ihn ein Strafverfahren wegen Raubes anhängig war. Nach seiner Verurteilung teilte der Auszubildende seinem Vorgesetzten mit, dass er eine Haftstrafe antreten müsse. Zudem benötige er eine Erklärung des Arbeitgebers, dass er seine Ausbildung während seines Freigangs fortführen könne. Der Arbeitgeber erklärte daraufhin die Anfechtung des Ausbildungsvertrags wegen arglistiger Täuschung. Hiergegen klagte der Auszubildende.

Das Arbeitsgericht gab seiner Klage statt. Der Arbeitgeber konnte den Ausbildungsvertrag des Klägers nicht wegen arglistiger Täuschung anfechten.

Grundsätzlich darf der Arbeitgeber im Einstellungsverfahren beim Bewerber Informationen zu Vorstrafen einholen, wenn und soweit diese für die Art des zu besetzenden Arbeitsplatzes relevant sein können. Bei einer Bewerbung um ein öffentliches Amt darf sich der Arbeitgeber nach anhängigen Straf- und Ermittlungsverfahren erkundigen, wenn ein solches Verfahren Zweifel an der persönlichen Eignung des Bewerbers für die in Aussicht genommene Tätigkeit begründen kann. Ist hingegen die Frage nach gerichtlichen Verurteilungen und schwebenden Verfahren bei einer Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Bewerbers zu weitgehend, ist diese Frage unzulässig. Dann muss der Bewerber sie nicht wahrheitsgemäß beantworten.

Die vom Arbeitgeber im Rahmen des Personalblatts gestellte unspezifizierte Frage nach Ermittlungsverfahren jedweder Art ist bei einer Bewerbung um eine Ausbildungsstelle als Fachkraft für Lagerlogistik zu weitgehend und damit unzulässig. Nicht jede denkbare Straftat kann Zweifel an der Eignung für die Ausbildung zur Fachkraft für Lagerlogistik begründen. Dies gilt auch, wenn die Ausbildung durch einen öffentlichen Arbeitgeber erfolgen soll. Damit aber war der Arbeitgeber nicht berechtigt, den Ausbildungsvertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten.

Quelle | Arbeitsgericht Bonn, Urteil vom 20.5.2020, 5 Ca 83/20

Kann der Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag durch Freistellung von der Arbeit erzwingen? Nein, meint das LAG Schleswig-Holstein – nur unter bestimmten Voraussetzungen!

Eine Freistellung nach Rückkehr aus der Arbeitsunfähigkeit, um Verhandlungen über die Aufhebung eines Anstellungsverhältnisses zu erzwingen, das ungekündigt und aufgrund langjähriger Betriebszugehörigkeit sowie Sonderkündigungsschutzes nicht ordentlich kündbar ist, kann rechtsmissbräuchlich und nicht schutzwürdig sein.

Zu diesem Ergebnis kam in einer aktuellen Entscheidung das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein. In dem Verfahren ging es um einen Streit zwischen einer Oberärztin als Arbeitnehmerin und einer Universitätsklinik als Arbeitgeber.

Das LAG betonte: Der Arbeitgeber ist nicht befugt, den sich aus dem grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmerin ergebenden arbeitsvertraglichen Beschäftigungsanspruch einseitig „für Verhandlungen über die Aufhebung bzw. Abwicklung ihres Anstellungsverhältnisses“ zu suspendieren, um durchzusetzen, dass der neue Chefarzt die Arbeitnehmerin verdränge, ohne die arbeitsrechtlichen und -vertraglichen Regelungen und gesetzlichen Grenzen zu beachten. Das sollte im vorliegenden Fall mit dem Ziel geschehen, ausschließlich mit den selbst mitgebrachten Oberärzten zusammenarbeiten zu können.

Quelle | LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 6.2.2020, 3 SaGa 7 öD/19

Fristlose Kündigung ohne erforderliche Abmahnung: Kollegin in den Schritt gefasst

Fasst ein Mitarbeiter erst einer Kollegin und dann sich selbst in den Schritt mit der anschließenden Äußerung, da tue sich etwas, rechtfertigt dies auch nach 16-jähriger beanstandungsfreier Betriebszugehörigkeit die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln nun entschieden.

Angesichts der Schwere der festgestellten Pflichtverletzung hat das LAG eine vorhergehende Abmahnung für nicht erforderlich gehalten, weil der Mitarbeiter nicht ernsthaft damit habe rechnen können, dass seine Kollegin sein Verhalten tolerieren werde. Aufgrund ihrer Verpflichtung, ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vor sexuellen Belästigungen wirksam zu schützen, sei der Arbeitgeberin der Ausspruch einer Kündigung unter Einhaltung der sechsmonatigen Kündigungsfrist nicht zuzumuten gewesen. Eine Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen.

Quelle | LAG Köln, Urteil vom 19.6.2020, 4 Sa 644/19.

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