Entgelttransparenzgesetz: Benachteiligung wegen des Geschlechts

Klagt eine Frau auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit, begründet der Umstand, dass ihr Entgelt geringer ist als das vom Arbeitgeber nach dem Entgelttransparenzgesetz mitgeteilte Vergleichsentgelt der männlichen Vergleichsperson, regelmäßig die – vom Arbeitgeber widerlegbare – Vermutung, dass die Benachteiligung beim Entgelt wegen des Geschlechts erfolgt ist. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt.

Die Klägerin ist bei der Beklagten als Abteilungsleiterin beschäftigt. Sie erhielt im August 2018 von der Beklagten eine Auskunft nach dem Entgelttransparenzgesetz, aus der u. a. das Vergleichsentgelt der bei der Beklagten beschäftigten männlichen Abteilungsleiter hervorgeht. Angegeben wurde dieses als „auf Vollzeitäquivalente hochgerechneter statistischer Median“ des durchschnittlichen monatlichen übertariflichen Grundentgelts sowie der übertariflichen Zulage. Weil sowohl das Grundentgelt als auch die Zulage über dem Entgelt der Klägerin lag, hat die Klägerin die Beklagte u. a. auf Zahlung der Differenz zwischen dem ihr gezahlten Grundentgelt sowie der ihr gezahlten Zulage und der ihr mitgeteilten höheren Median-Entgelte für die Monate August 2018 bis Januar 2019 in Anspruch genommen.

Das Arbeitsgericht (ArbG) hatte der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht (LAG) hat das Urteil des ArbG auf die Berufung der Beklagten geändert und die Klage abgewiesen. Es hat angenommen, es lägen schon keine ausreichenden Indizien vor, die die Vermutung begründeten, dass die Klägerin die Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts erfahren habe.

Die Revision der Klägerin hatte vor dem BAG nun Erfolg. Mit der vom LAG gegebenen Begründung durfte die Klage nämlich nicht abgewiesen werden. Aus der von der Beklagten erteilten Auskunft ergibt sich das Vergleichsentgelt der maßgeblichen männlichen Vergleichsperson. Nach den Vorgaben des Entgelttransparenzgesetzes liegt in der Angabe des Vergleichsentgelts als Median-Entgelt durch einen Arbeitgeber zugleich die Mitteilung der maßgeblichen Vergleichsperson, weil entweder ein konkreter oder ein hypothetischer Beschäftigter des anderen Geschlechts dieses Entgelt für gleiche bzw. gleichwertige Tätigkeit erhält.

Die Klägerin hat gegenüber der ihr von der Beklagten mitgeteilten männlichen Vergleichsperson eine unmittelbare Benachteiligung erfahren, denn ihr Entgelt war geringer als das der Vergleichsperson gezahlte. Entgegen der Annahme des LAG begründet dieser Umstand zugleich die – von der Beklagten widerlegbare – Vermutung, dass die Klägerin die Entgeltbenachteiligung „wegen des Geschlechts“ erfahren hat. Aufgrund der vom LAG getroffenen Feststellungen konnte das BAG nicht entscheiden, ob die Beklagte, die insoweit die Darlegungs- und Beweislast trifft, diese Vermutung ausreichend widerlegt hat. Zugleich war den Parteien Gelegenheit zu weiterem Vorbringen zu geben. Das BAG hat daher die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.

Quelle | BAG, Urteil vom 21.1.2021, 8 AZR 488/19, PM Nr. 1/21

Benachteiligungsverbot: Dem potenziellen Arbeitgeber muss Schwerbehinderung des Bewerbers bekannt sein

Der objektive Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, kann die Vermutung der Benachteiligung eines erfolglosen schwerbehinderten Bewerbers wegen der Schwerbehinderung nach § 22 AGG regelmäßig nur begründen, wenn der Bewerber den Arbeitgeber rechtzeitig über seine Schwerbehinderung in Kenntnis gesetzt hat. Das hat jetzt das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden.

Die Parteien stritten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger eine Entschädigung wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung wegen seiner (Schwer)Behinderung zu zahlen.

Sachverhalt

Der Kläger ist Diplom-Verwaltungswirt (FH). Nach seinem Studium war er zunächst stellvertretender Sachgebietsleiter, später Sachgebietsleiter eines Ausländeramts. Dann war er als geschäftsleitender Beamter einer Gemeinde und als Geschäftsleiter einer anderen Gemeinde tätig. In der Zeit von April 1992 bis April 2008 war er erster Bürgermeister. Ausweislich des Bescheids des zuständigen Versorgungsamts von Dezember 2013 ist der Kläger mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 schwerbehindert.

Die Beklagte, die in Teilbereichen der Verwaltungstätigkeit einer großen Kreisstadt gleichgestellt ist, schrieb im September 2017 die Stelle eines/einer Leiter/in des Sachgebietes Bauen und Wohnen aus. Der Kläger bewarb sich auf diese Stelle. Weder im Bewerbungsschreiben noch im beigefügten Lebenslauf informierte er die Beklagte über seine Schwerbehinderung.

Die Beklagte traf in der Folgezeit eine Vorauswahl unter den Bewerbern und lud die von ihr als geeignet erachteten zu Vorstellungsgesprächen ein. Der Kläger war nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden. Später entschied sich das Auswahlgremium für einen anderen Bewerber.

Benachteiligung lag vor…

Zwar wurde der Kläger dadurch, dass der Beklagte ihn im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren nicht berücksichtigt hatte, unmittelbar benachteiligt, denn er hat eine weniger günstige Behandlung erfahren als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Darauf, ob es andere Bewerber gegeben hat, ob deren Bewerbungen Erfolg hatten und ob ein von der Beklagten ausgewählter Bewerber die Stelle angetreten hat, kommt es nicht an.

… aber nicht aufgrund der Schwerbehinderung

Der Kläger hat die unmittelbare Benachteiligung jedoch nicht wegen seiner (Schwer)Behinderung erfahren. Eine gesetzliche Vermutung, dass der Kläger die Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung erfahren hat, ergibt sich weder aus der Nichteinladung des Klägers zu einem Vorstellungsgespräch noch aus sonstigen Umständen: Nach dem Sozialgesetzbuch IX melden die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber den Agenturen für Arbeit frühzeitig freiwerdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze. Haben schwerbehinderte Menschen sich um einen solchen Arbeitsplatz beworben oder sind sie von der Bundesagentur für Arbeit oder von einem von dieser beauftragten Integrationsfachdienst vorgeschlagen worden, werden sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Eine Einladung ist entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt.

Arbeitgeber hatte keine Information über Schwerbehinderung

Hier hat der Arbeitgeber zwar gegen seine Pflicht verstoßen, den Kläger einzuladen. Dafür, dass dieser objektive Verstoß des Arbeitgebers aber wegen der (Schwer)Behinderung geschehen ist, fehlen jegliche Anhaltspunkte. Denn dann hätte dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung des Bewerbers bekannt sein müssen. Deshalb muss ein Bewerber, der seine Schwerbehinderung bei der Behandlung seiner Bewerbung berücksichtigt wissen will, den (potenziellen) Arbeitgeber hierüber in Kenntnis setzen, soweit dieser nicht ausnahmsweise, so ggf. bei internen Bewerbern, bereits über diese Information verfügt. Andernfalls fehlt es an der (Mit-)Ursächlichkeit der (Schwer)Behinderung für die benachteiligende Maßnahme.

Quelle | BAG, Urteil vom 17.12.2020, 8 AZR 171/20

Altersdiskriminierung: Auch Schiedsrichter sind geschützt

Einem Schiedsrichter steht eine Entschädigung wegen Altersdiskriminierung zu, wenn er aufgrund des Erreichens der Altersgrenze von 47 Jahren nicht mehr in die Schiedsrichterliste des Deutschen Fußballbundes (DFB) aufgenommen worden ist. Das hat das Landgericht (LG) Frankfurt am Main aktuell entschieden.

DFB: Regularisch keine Altersgrenze festgelegt

Der DFB hat die Hoheit über den Arbeitsmarkt und den Einsatz von Schiedsrichtern im deutschen Fußball (sog. „Ein-Platz-Prinzip“). In seinen Regularien ist eine Altersgrenze für die Aufnahme in die Schiedsrichterlisten im Profifußball nicht vorgesehen. Jedoch scheiden Elite-Schiedsrichter regelmäßig im Alter von 47 Jahren aus. Davon wurde in den letzten fast vier Jahrzehnten keine Ausnahme gemacht.

Bundesliga-Schiedsrichter mit 47 Jahren „ausgemustert“

Der Kläger war seit vielen Jahren Schiedsrichter im Auftrag des DFB. Seit 2004 leitete er Spiele der ersten Bundesliga. Nachdem der Kläger 47 Jahre alt geworden war, nahm ihn der DFB ab der Saison 2021/2022 nicht mehr in seine Schiedsrichterliste auf. Vor dem LG hat der Kläger vom DFB eine Entschädigung wegen Altersdiskriminierung und den potenziellen Verdienstausfall für die Saison 2021/2022 verlangt sowie die Feststellung, dass der DFB auch künftige Schäden (z.B. Verdienstausfall) ersetzen müsse.

Landgericht: Altersdiskriminierung liegt vor

Das LG hat dem Kläger jetzt eine Entschädigung von 48.500 Euro wegen einer Diskriminierung aufgrund seines Alters nach dem sog. Antidiskriminierungsgesetz zugesprochen. Für diesen Entschädigungsanspruch sei es ausreichend, wenn das Alter mitursächlich für die Beendigung der Schiedsrichterlaufbahn war. Ob auch andere Gründe eine Rolle spielten, sei rechtlich nicht maßgeblich.

Praktizierte Altersgrenze…

Wenngleich in den Regelwerken des DFB eine Altersgrenze für Schiedsrichter nicht schriftlich fixiert sei, bestehe aber tatsächlich eine praktizierte Altersgrenze von 47 Jahren. Denn die Bewerber würden ab diesem Lebensjahr nahezu ausnahmslos nicht mehr berücksichtigt und der DFB habe die Bedeutung dieses Alters für das Ende einer Schiedsrichtertätigkeit auch öffentlich bekundet.

… ist willkürlich

Es sei im Ergebnis willkürlich und daher nach den Regeln des Antidiskriminierungsgesetzes nicht gerechtfertigt, auf eine feste Altersgrenze von 47 Jahren abzustellen. Zwar habe das Alter aus biologischen Gründen eine statistische Relevanz für die Eignung als Schiedsrichter, weil mit ihm die Leistungsfähigkeit nachlässt und das Verletzungsrisiko steige. Warum gerade das Alter von 47 Jahren für die Leistungsfähigkeit eines Elite-Schiedsrichters ausschlaggebend sein soll, wurde nicht dargelegt, etwa durch einen wissenschaftlichen Nachweis oder einen näher begründeten Erfahrungswert. Es sei nicht ersichtlich, weshalb die individuelle Tauglichkeit der relativ geringen Anzahl von Bundesligaschiedsrichtern nicht in einem an Leistungskriterien orientierten transparenten Bewerbungsverfahren festgestellt werden könne. Adäquate und gegebenenfalls wiederholte Leistungstests und -nachweise seien gegenüber einer starren Altersgrenze vorzugswürdig.

Entschädigung für Schiedsrichter

Für die Höhe der Entschädigung war nach dem LG u. a. maßgeblich, dass das Antidiskriminierungsgesetz Sanktionscharakter hat. Die Benachteiligung des Klägers wiege schwer, weil sie von dem wirtschaftsstarken und eine Monopolstellung innehabenden Beklagten bewusst und ohne Rechtfertigungsansatz erfolgt sei.

Jedoch kein Ersatz von Verdienstausfall

Ohne Erfolg blieb jedoch die Forderung des Klägers auf Ersatz von materiellen Schäden, insbesondere auf Zahlung von Verdienstausfall. Insoweit wurde seine Klage abgewiesen. Der Kläger habe nicht dargetan, dass er ohne die Altersgrenze tatsächlich bei der Listenaufstellung berücksichtigt worden wäre. Dafür hätte er nicht nur erklären und unter Umständen beweisen müssen, dass er nicht nur für die Stelle geeignet, sondern vielmehr der „bestgeeignetste“ Bewerber war. Diesen Nachweis habe der Kläger nicht erbracht.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Es kann mit der Berufung zum Oberlandesgericht (OLG) angefochten werden.

Quelle | LG Frankfurt am Main, Urteil vom 25.1.2023

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz: Schadenersatz: Diskriminierende Stellenanzeige in eBay-Kleinanzeigen

Wer sich auf eine Stellenanzeige im Internetportal „eBay-Kleinanzeigen“ über die dortige Chat-Funktion bewirbt, genießt den Status eines Bewerbers. Das Einreichen weiterer Unterlagen ist nicht erforderlich. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein entschieden und damit eine Entscheidung des Arbeitsgerichts (ArbG) Elmshorn geändert, die dem Kläger keinen Bewerberstatus eingeräumt und damit auch keine Entschädigung zugesprochen hatte. Folge: Angesichts des Anzeigentextes und der Antwort der Arbeitgeberin im Chat war klar, dass der Kläger aufgrund seines Geschlechts benachteiligt worden ist. Deshalb stand ihm eine Entschädigung in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern zu.

Der in Nordrhein-Westfalen wohnende Kläger hatte sich auf die in eBay-Kleinanzeigen veröffentliche Stellenanzeige des im Kreis Steinburg ansässigen Unternehmens beworben. In dessen Anzeige heißt es wörtlich (Anmerkung: Rechtschreibfehler im Originaltext vorhanden):

„Sekretärin gesucht!

Beschreibung:

Wir suchen eine Sekretärin ab sofort.

Vollzeit/Teilzeit

Es wäre super, wenn sie Erfahrung mitbringen. …“

Der Kläger antwortete dem Unternehmen über die Chat-Funktion u.a. mit folgenden Worten: „Hallo, ich habe gerade auf eBay Kleinanzeigen ihre Stellenausschreibung gefunden, womit Sie eine Sekretärin suchen. Ich suche derzeit eine neue Wohnung im Umkreis und habe Interesse an Ihrer Stelle. Ich habe Berufserfahrung im Büro und kenne mich mit Word und Excel und Gesetzen gut aus. Lieferscheine und Rechnungen kann ich auch schreiben und sonst typische Arbeiten einer Sekretärin, die sie fordern.

Ich bewerbe mich hiermit auf ihrer Stelle. …“

Das Unternehmen antwortete schließlich mit folgenden Worten:

„…vielen Dank für Interesse in unserem Hause. Wir suchen eine Dame als Sekretärin. Wir wünschen Ihnen alles Gute Vielen Dank. …“

Das LAG hielt den für die Geltendmachung von Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (hier: § 15 Abs. 2 AGG) erforderlichen Bewerberstatus für gegeben. Wer eine Stellenanzeige in eBay-Kleinanzeigen veröffentlicht, muss damit rechnen, dass sich die Bewerber über die eBay-Kleinanzeigen-Chatfunktion bewerben und nicht auf klassische Weise schriftlich unter Beifügung von Bewerbungsunterlagen. Ein inhaltliches Mindestmaß an Angaben zur Person des Bewerbers wird gesetzlich nicht gefordert. Die Person des Bewerbers muss identifizierbar sein.

Die Bewerbung des Klägers war hier auch nicht rechtsmissbräuchlich. An eine solche Annahme werden hohe Anforderungen gestellt: Es müssen im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, die ausnahmsweise den Schluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten rechtfertigen. Das von der Beklagten Vorgetragene reichte dafür nicht aus.

Quelle | LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.6.2022

Kündigungsschutzklage: Redakteurin: Kündigung wegen Vorwurf antisemitischer Äußerung?

Das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin hat die Kündigung einer Redakteurin des Senders Deutsche Welle für unwirksam erklärt. Die Redakteurin hatte sich bereits vor ihrem Arbeitsverhältnis antesemitisch geäußert.

Kündigungsschutzklage war erfolgreich

Der Sender hat zur Begründung der Kündigung geltend gemacht, die Redakteurin habe sich mehrfach israelfeindlich und antisemitisch in anderen Medien geäußert. Dies widerspreche den Grundsätzen der Deutschen Welle, wie sie ausdrücklich in Guidelines und Positionspapieren festgehalten seien. Das ArbG hat jedoch der Kündigungsschutzklage stattgegeben und den Sender zur Weiterbeschäftigung der Redakteurin verurteilt.

Es bestand noch kein Vertragsverhältnis

Das ArbG: Antisemitische Äußerungen könnten ein Grund für eine außerordentliche Kündigung sein. Wenn es nicht um Äußerungen im Rahmen der Arbeit für den Sender gehe, könne hierin eine Verletzung von Loyalitätspflichten liegen. Soweit es aber um Äußerungen gehe, die vor Bestehen eines Vertragsverhältnisses zum Sender erfolgt seien, fehle es mangels bestehenden Vertrags zu dieser Zeit an einer für eine verhaltensbedingte Kündigung erforderlichen Vertragspflichtverletzung.

Personalrat wurde nicht hinzugezogen

Eine personenbedingte Kündigung hatte die Beklagte nicht ausgesprochen und dazu auch nicht ihren Personalrat beteiligt. Auch bei Äußerungen während einer vorherigen Beschäftigung auf Honorarbasis könne nicht ohne Weiteres ein „Durchschlagen“ als Pflichtverletzung auf ein späteres Arbeitsverhältnis angenommen werden. Zudem müsse jeweils eine Bewertung der Umstände des Einzelfalls unter Beachtung des Zusammenhangs von Äußerungen erfolgen.

Redakteurin hatte sich distanziert

Wenn man berücksichtige, dass die Redakteurin sich in einer für die Öffentlichkeit bestimmten Erklärung von früheren Äußerungen distanziert habe und keine Abmahnung vorliege, sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der beiderseitigen Interessen zumutbar. Im Hinblick hierauf könne keine negative Prognose für ein künftig zu erwartendes Fehlverhalten gestellt werden.

Weder Abmahnung noch Fristwahrung

Unabhängig hiervon sei für die außerordentliche Kündigung die Frist von zwei Wochen ab Kenntnis der maßgeblichen Umstände nicht eingehalten. In Bezug auf die gegenüber der klagenden Redakteurin erhobenen Vorwürfe erschließe sich die Erforderlichkeit der vorherigen zweimonatigen Untersuchung nicht, von der der Sender ausgegangen war.

Quelle | ArbG Berlin, Urteil vom 5.9.2022

Gleichstellungsgesetz: Entschädigung wegen Transsexualität? – Ende offen!

In einem laufenden Güteverfahren vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Düsseldorf wurde über die Forderung einer transsexuellen Klägerin nach Entschädigung verhandelt. Ein interessanter Fall, bei dem sich Kundenwünsche und das Recht auf sexuelle Identität gegenüberstanden.

Die transsexuelle Klägerin hatte sich bei einem Wohn- und Pflegezentrum als Pflegerin beworben. Sie erhielt nach einem Bewerbungsgespräch und einem Probearbeiten eine Absage. Diese wurde mit den Rückmeldungen einiger Bewohner begründet, die sich aufgrund der „Neigung“ der Klägerin nicht von ihr pflegen lassen wollten. Die Klägerin sah sich wegen ihrer sexuellen Identität benachteiligt. Sie verlangt eine Entschädigung wegen der erlittenen Persönlichkeitsrechtsverletzung nach dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz (hier: § 15 Abs. 2 AGG) von etwa vier Gehältern, stellt die Höhe aber in das Ermessen des Gerichts.

Vor dem AG Düsseldorf trug der Rechtsanwalt der Beklagten vor, dass diese die Klägerin nicht habe benachteiligen wollen. Sie sei aber verpflichtet, die Wünsche ihrer Kunden zu berücksichtigen. Folge: Die Absage sei gerechtfertigt gewesen. Eine Entschädigung sei deshalb nicht geschuldet.

Die Beklagte bot aber ohne Anerkennung einer Rechtspflicht eine Entschädigung an. Die Parteien kamen überein, eine außergerichtliche Einigung zu herbeiführen zu wollen. Ein neuer Gerichtstermin wurde noch nicht bestimmt.

Quelle | AG Düsseldorf, Urteil vom 25.2.2022

Gleichbehandlungsgrundsatz: Betroffener muss wie ein vergleichbarer Mitarbeiter gestellt werden

Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz erfasst auch freiwillige aktienorientierte Vergütungsbestandteile in Form sogenannter Phantom Shares. So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg.

Die Parteien stritten zweitinstanzlich u. a. über aktienorientierte Vergütungsbestandteile des Arbeitnehmers (Klägers). Der Arbeitnehmer meinte, sie stünden ihm – wie vergleichbaren Mitarbeitern auch – zu, während der Arbeitgeber (Beklagter) ihm diese verweigerte.

Das OLG befand, dass der Arbeitnehmer einen solchen Anspruch hatte. Da ihm dieser zu Unrecht verweigert worden war, müsse er so gestellt werden, wie vergleichbare Mitarbeitende der entsprechenden Führungsebene. Werde aber die beanspruchte Zuteilung solcher Phantom Shares entsprechend den Regelungen des Performance Phantom Share Plans über die damit verfolgte personenbezogene Ziel- und Zwecksetzung durch Zeitablauf unmöglich, komme als Sekundäranspruch ein Schadenersatzanspruch in Betracht.

Quelle | LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.10.2021,

Arbeitsunfall: Schlägerei wegen zugeparkter Betriebseinfahrt: kein Unfallversicherungsschutz

Kommt es während einer Betriebsfahrt zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung mit einem anderen Verkehrsteilnehmer, weil dieser sich beleidigend verhält, stellen die daraus resultierenden Verletzungen keinen Arbeitsunfall dar. Das hat jetzt das Sozialgericht (SG) Berlin klargestellt.

Das war geschehen

Der Kläger war als Bauleiter tätig. Im Februar 2020 kehrte er von einem beruflichen Termin zurück, als er die Einfahrt zu seinem Betrieb durch einen LKW zugeparkt sah. Dieser fuhr trotz mehrfacher Aufforderung nicht beiseite. Der Kläger musste daraufhin sein Auto stehen lassen und das Betriebsgelände zu Fuß betreten. Als er kurze Zeit später wieder zu seinem Wagen zurückkam, um einen neuen betrieblichen Termin wahrzunehmen, kam es zu einem Wortwechsel, bei dem der Fahrer des Lkw den Kläger als „egoistisches Arschloch“ beschimpfte. Der Kläger, der im Begriff gewesen war, in sein Auto zu steigen, schlug die Wagentür wieder zu und ging zu dem Fahrer, um „die Sache auszudiskutieren“. Im Verlauf des Streitgesprächs schlug der Fahrer dem Kläger ins Gesicht. Der Kläger musste daraufhin wegen einer Mittelgesichtsfraktur operiert werden. Die beklagte Unfallversicherung erkannte den Vorfall nicht als Arbeitsunfall an.

Sozialgericht: Kein Arbeitsunfall

Das SG bestätigte dies. Das begründete das Gericht im Wesentlichen wie folgt: Zwar habe sich der Kläger auf einem an sich versicherten Betriebsweg befunden, als er vom Betriebsgelände wieder zu seinem Auto ging. Er habe diesen Betriebsweg jedoch wieder verlassen, als er die Wagentür nach den Beleidigungen noch einmal schloss, um die Angelegenheit auszudiskutieren. Darin liege eine Zäsur.

Kläger handelte als Privatperson

Ab diesem Moment habe das Handeln des Klägers privaten Zwecken gedient, nämlich dem Zur-Rede-Stellen des Fahrers. Während dieser Unterbrechung des Betriebswegs habe kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung bestanden. Es sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass insbesondere das Zurechtweisen anderer Verkehrsteilnehmer auf dem Weg zur Arbeit oder auf Betriebswegen nicht der betrieblichen Tätigkeit diene und etwaige hieraus resultierende Verletzungen unabhängig vom Verschulden dem privaten Lebensbereich zuzurechnen seien.

Dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es kann vom Kläger mit der Berufung zum Landessozialgericht angefochten werden.

Quelle | SG Berlin, Urteil vom 16.2.2023

Verbale Entgleisung: „Hier herrscht ein Hitlerregime!“ rechtfertigt fristlose Kündigung

Grobe Beleidigungen und Bedrohungen gegenüber Vorgesetzten stellen einen Grund für eine verhaltensbedingte fristlose Kündigung dar. Solche Entgleisungen sind als so schwerwiegend anzusehen, dass das Interesse des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung der Kündigungsfrist aufzulösen, das Interesse des Arbeitnehmers an Weiterbeschäftigung überwiegt. Einer vorherigen Abmahnung bedarf es dann nicht. So entschied jetzt das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln.

Arbeitnehmer erhielt Kündigung und bedrohte daraufhin Geschäftsführer

Der Arbeitnehmer war ins Büro des Geschäftsführers zitiert worden. Dort überreichte ihm dieser – für den Arbeitnehmer überraschend – sein Kündigungsschreiben zur ordentlichen Kündigung. Der Arbeitnehmer wollte daraufhin eigentlich gehen. Er sei dann aber umgekehrt und habe den Geschäftsführer beschimpft: Er sei „wie Hitler“ und wolle „die schwarzen Köpfe ausmerzen“. Der Arbeitnehmer hatte wohl auch arabische Flüche ausgestoßen und zudem geäußert, er werde mit seinen Kindern in den Betrieb kommen, damit sie sehen könnten, wer dafür verantwortlich sei, dass sie nichts zu essen hätten.

Schwerwiegende Entgleisung rechtfertigt fristlose Kündigung

Der Kündigung waren etliche Streitigkeiten vorausgegangen. So war der Arbeitnehmer bereits abgemahnt worden. Das LAG: Das gesamte o. g. Verhalten des Arbeitnehmers stelle eine bedrohliche Handlung gegenüber dem Geschäftsführer dar. Diese Entgleisungen seien als so schwerwiegend anzusehen, dass das Interesse des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung der Kündigungsfrist aufzulösen, das Interesse des Arbeitnehmers an Weiterbeschäftigung überwiege. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordere auch keine vorherige Abmahnung.

Quelle | LAG Köln, Urteil vom 6.11.2020, 10 Sa 280/19

Stellenausschreibung: Kann ein Gendersternchen diskriminierend sein?

Gendergerechte Sprache ist aktuell ein vieldiskutiertes Thema. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein befasste sich mit diesem Fall: Die Verwendung des Gendersternchens in einer Stellenausschreibung diskriminiert mehrgeschlechtlich geborene Menschen nicht.

Anlass des Streits war die Stellenausschreibung einer Gebietskörperschaft, in der mehrere Diplom-Sozialpädagog*innen, Diplom-Sozialarbeiter*innen, Diplom-Heilpädagog*innen gesucht wurden, u. a. mit den Sätzen „Näheres entnehmen Sie bitte dem nachstehenden Anforderungsprofil einer Fachkraft (m/w/d).“ sowie: „Schwerbehinderte Bewerber*innen werden bei entsprechender Eignung bevorzugt berücksichtigt.“ Die zweigeschlechtlich geborene schwerbehinderte klagende Partei bewarb sich und erhielt eine Absage. Das Arbeitsgericht (ArbG) Elmshorn sprach ihr aus anderen Gründen eine Entschädigung in Höhe von 2.000 EUR zu.

Daraufhin beantragte die klagende Partei für die Berufung Prozesskostenhilfe (PKH), da die Entschädigung höher sein müsse. Das LAG wies den PKH-Antrag wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussicht zurück.

Das Gendersternchen diene einer geschlechtersensiblen und diskriminierungsfreien Sprache. Ziel sei es, nicht nur Frauen und Männer in der Sprache gleich sichtbar zu machen, sondern auch alle anderen Geschlechter zu symbolisieren und der sprachlichen Gleichbehandlung aller Geschlechter zu dienen. Ob das Gendersternchen den offiziellen deutschen Rechtschreibregeln entspreche, könne dahingestellt bleiben. Dass geschlechtsneutral ausgeschrieben werden sollte, sei im Übrigen auch durch den Zusatz „m/w/d“ deutlich geworden. Damit habe die Verwendung des Begriffs „Bewerber*innen“ statt „Menschen“ keinen diskriminierenden Charakter.

Quelle | LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 22.6.2021, 3 Sa 37 öD/21

  • 1
  • 2

5,0 Sterne bei Google
über 300 Rezensionen