Schlagwort: Schwerbehinderung

Sozialgesetzgebung: Gesetzentwurf für moderne Arbeitsförderung

Weniger Bürokratie, mehr Transparenz und Bürgerfreundlichkeit: Mit diesen Zielen will die Bundesregierung die Arbeitsförderung und die Arbeitslosenversicherung modernisieren. Dazu hat sie nun einen umfangreichen Entwurf (20/12779) eines Gesetzes zur Modernisierung der Arbeitslosenversicherung und Arbeitsförderung (SGB-III-Modernisierungsgesetz) vorgelegt

Das ist beabsichtigt

Darin geht es um die Weiterentwicklung des Vermittlungsprozesses, Vereinfachungen und Entlastungen im Versicherungs- und Leistungsrecht, die Anpassung von Förderinstrumenten und den Ausbau der Förderinstrumente der Bundesagentur für Arbeit.

Unterstützung von Gründern

Um Gründerinnen und Gründer zu unterstützen, soll der Zugang zur Arbeitslosenversicherung leichter werden, indem Gründer mehr Zeit für die Entscheidung erhalten sollen, ob sie sich weiter in der Arbeitslosenversicherung absichern wollen.

Vereinfachung bei der Arbeitslosengeldberechnung

Die Berechnung des Arbeitslosengeldes soll vereinfacht werden, indem künftig einheitlich die Abzugsbeträge für die Sozialversicherungspauschale, die Lohnsteuer und den Solidaritätszuschlag berücksichtigt werden, die sich zu Beginn des Jahres ergeben, in dem der Anspruch auf Arbeitslosengeld entstanden ist. Aufwändige Nachberechnungen sollen dadurch vermieden werden.

Ausweitung des Eingliederungszuschusses

Der Entwurf sieht ferner vor, den Eingliederungszuschuss bei Übernahme von Menschen mit Behinderungen und schwerbehinderten Menschen in ein Arbeitsverhältnis durch den ausbildenden Arbeitgeber im Anschluss an eine abgeschlossene Aus- oder Weiterbildung auszuweiten. Auch sollen die Kosten der Unterkunft bei Auszubildenden mit Behinderungen in bestimmten Fallkonstellationen besser berücksichtigt werden. Im Recht der Weiterbildungsförderung soll zudem klargestellt werden, dass der isolierte Erwerb von Grundkompetenzen sowie das Nachholen des Hauptschulabschlusses auch für geringqualifizierte Beschäftigte förderfähig sind. Quelle | hib

Einstweilige Verfügung: Schwerbehinderter Arbeitnehmer hat Anspruch auf eine stufenweise Wiedereingliederung

Das Arbeitsgericht (ArbG) Aachen hat in einem einstweiligen Verfügungsverfahren entschieden, dass ein schwerbehinderter Arbeitnehmer Anspruch auf die Durchführung einer stufenweisen Wiedereingliederung gegenüber seiner Arbeitgeberin hat. Er darf diesen auch im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens durchsetzen. 

Das war geschehen

Der schwerbehinderte Arbeitnehmer ist seit September 1988 bei der Arbeitgeberin – einem Unternehmen, das Bauelemente herstellt und vertreibt, – als Verkaufs- und Vertriebsleiter tätig. Er ist wegen eines Hirntumors seit April 2023 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt und war bis zum 10.4.2024 fahruntüchtig. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird nach Erreichen der Regelaltersgrenze des Arbeitnehmers mit dem Ablauf des Monats Oktober 2024 enden. Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrte der Arbeitnehmer, ihn ab Mitte März 2024 entsprechend einem ärztlichen Wiedereingliederungsplan nach dem sog. „Hamburger Modell“ zu beschäftigen, um zeitnah an seinen Arbeitsplatz zurückkehren zu können.

Fehlende Fahrtüchtigkeit steht Wiedereingliederung nicht im Weg

Das ArbG gab dem Antrag des schwerbehinderten Arbeitnehmers statt, da die Arbeitgeberin verpflichtet sei, an der stufenweisen Wiedereingliederung mitzuwirken. Dem stehe die fehlende Fahrtüchtigkeit des Arbeitnehmers nicht entgegen. Der Arbeitnehmer könne während der Fahruntüchtigkeit zu Beginn der Wiedereingliederung zunächst seinem Aufgabenprofil entsprechende Büroarbeiten erledigen.

Sache ist eilbedürftig

Die für den Erlass einer einstweiligen Verfügung besondere Eilbedürftigkeit ergab sich nach Auffassung des Arbeitsgerichts daraus, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer auf die zeitnahe Wiedereingliederung angewiesen sei. Demgegenüber würde eine Versagung der Wiedereingliederung den Teilhabe Anspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers am Erwerbsleben vereiteln oder jedenfalls erheblich erschweren. Auch der nahe Renteneintritt des Arbeitnehmers ändert nach Ansicht des ArbG nichts am Eilbedürfnis. Quelle | ArbG Aachen, Urteil vom 12.3.2024

Benachteiligungsverbot: Dem potenziellen Arbeitgeber muss Schwerbehinderung des Bewerbers bekannt sein

Der objektive Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, kann die Vermutung der Benachteiligung eines erfolglosen schwerbehinderten Bewerbers wegen der Schwerbehinderung nach § 22 AGG regelmäßig nur begründen, wenn der Bewerber den Arbeitgeber rechtzeitig über seine Schwerbehinderung in Kenntnis gesetzt hat. Das hat jetzt das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden.

Die Parteien stritten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger eine Entschädigung wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung wegen seiner (Schwer)Behinderung zu zahlen.

Sachverhalt

Der Kläger ist Diplom-Verwaltungswirt (FH). Nach seinem Studium war er zunächst stellvertretender Sachgebietsleiter, später Sachgebietsleiter eines Ausländeramts. Dann war er als geschäftsleitender Beamter einer Gemeinde und als Geschäftsleiter einer anderen Gemeinde tätig. In der Zeit von April 1992 bis April 2008 war er erster Bürgermeister. Ausweislich des Bescheids des zuständigen Versorgungsamts von Dezember 2013 ist der Kläger mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 schwerbehindert.

Die Beklagte, die in Teilbereichen der Verwaltungstätigkeit einer großen Kreisstadt gleichgestellt ist, schrieb im September 2017 die Stelle eines/einer Leiter/in des Sachgebietes Bauen und Wohnen aus. Der Kläger bewarb sich auf diese Stelle. Weder im Bewerbungsschreiben noch im beigefügten Lebenslauf informierte er die Beklagte über seine Schwerbehinderung.

Die Beklagte traf in der Folgezeit eine Vorauswahl unter den Bewerbern und lud die von ihr als geeignet erachteten zu Vorstellungsgesprächen ein. Der Kläger war nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden. Später entschied sich das Auswahlgremium für einen anderen Bewerber.

Benachteiligung lag vor…

Zwar wurde der Kläger dadurch, dass der Beklagte ihn im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren nicht berücksichtigt hatte, unmittelbar benachteiligt, denn er hat eine weniger günstige Behandlung erfahren als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Darauf, ob es andere Bewerber gegeben hat, ob deren Bewerbungen Erfolg hatten und ob ein von der Beklagten ausgewählter Bewerber die Stelle angetreten hat, kommt es nicht an.

… aber nicht aufgrund der Schwerbehinderung

Der Kläger hat die unmittelbare Benachteiligung jedoch nicht wegen seiner (Schwer)Behinderung erfahren. Eine gesetzliche Vermutung, dass der Kläger die Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung erfahren hat, ergibt sich weder aus der Nichteinladung des Klägers zu einem Vorstellungsgespräch noch aus sonstigen Umständen: Nach dem Sozialgesetzbuch IX melden die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber den Agenturen für Arbeit frühzeitig freiwerdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze. Haben schwerbehinderte Menschen sich um einen solchen Arbeitsplatz beworben oder sind sie von der Bundesagentur für Arbeit oder von einem von dieser beauftragten Integrationsfachdienst vorgeschlagen worden, werden sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Eine Einladung ist entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt.

Arbeitgeber hatte keine Information über Schwerbehinderung

Hier hat der Arbeitgeber zwar gegen seine Pflicht verstoßen, den Kläger einzuladen. Dafür, dass dieser objektive Verstoß des Arbeitgebers aber wegen der (Schwer)Behinderung geschehen ist, fehlen jegliche Anhaltspunkte. Denn dann hätte dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung des Bewerbers bekannt sein müssen. Deshalb muss ein Bewerber, der seine Schwerbehinderung bei der Behandlung seiner Bewerbung berücksichtigt wissen will, den (potenziellen) Arbeitgeber hierüber in Kenntnis setzen, soweit dieser nicht ausnahmsweise, so ggf. bei internen Bewerbern, bereits über diese Information verfügt. Andernfalls fehlt es an der (Mit-)Ursächlichkeit der (Schwer)Behinderung für die benachteiligende Maßnahme.

Quelle | BAG, Urteil vom 17.12.2020, 8 AZR 171/20

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